"Ich wollte die (Kranken)Pflege besser machen“
Erster Stipendiat der B. Braun-Stiftung Paul Reusch.
Paul Reusch wurde am 29. März 1939 im heutigen Bad Urach geboren. Er machte nach der Schule eine Lehre zum Mechaniker. Doch in ihm wuchs der Wunsch etwas Sinnvolles zu tun, und so machte er kurz nach seinem 18. Geburtstag ein Soziales Jahr in einer Pflegeanstalt. Diese Erfahrung ebnete den Weg für Paul Reuschs Karriere: Nachdem er 1961 seine Ausbildung zum Krankenpfleger am Kreiskrankenhaus Reutlingen abschloss, war es stets sein Ziel, die Krankenpflege zu verbessern. Deshalb bildete er sich mit Hilfe eines Stipendiums der B. Braun-Stiftung 1966 zum Lehrer für Pflegeberufe fort. Es war die erste Förderung dieser Art der B. Braun-Stiftung. Seit nun mehr 50 Jahren wurden über 15.000 Krankenpflegekräfte und rund 680 Mediziner von der B. Braun-Stiftung durch Weiterbildungs- und Forschungsstipendien unterstützt.
Herr Reusch, Sie waren 1966 der erste Stipendiat der B. Braun-Stiftung. Wie kam es dazu?
Ich machte ab 1965 eine Weiterbildung an der Krankenpflege-Hochschule in Frankfurt am Main zum Unterrichtspfleger, wie Lehrer für Pflegeberufe damals noch genannt wurden. In diese Zeit fiel die Gründung des FDK (Fachverband Deutscher Krankenpfleger), wo ich Mitglied wurde im Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK). Der Vorsitzende hatte Kontakt zu B. Braun Melsungen und hörte von der Stiftungsgründung. Er hat mich dann empfohlen als unterstützungswürdigen Kandidaten und so wurde ich der erste Stipendiat der B. Braun- Stiftung.
Also mussten Sie gar keinen Antrag bei der Stiftung stellen?
Nein, das lief alles ganz unbürokratisch. Ich konnte mich im Nachhinein nur bedanken und habe dann einen Brief an B. Braun geschrieben (schmunzelt).
Für was haben Sie das Stipendium benutzt?
Mit den 625 DM Förderung habe ich meine Studiengebühren für die Weiterbildung finanziert. Das Geld war sehr hilfreich für mich, weil ich den größten Teil meiner Ersparnisse bereits aufgebraucht hatte, um dieses Studium realisieren zu können.
Was wollten Sie mit der Fortbildung erreichen?
Ich wollte ich die Pflege positiv beeinflussen können – und das war nur möglich, indem ich die Befähigung für eine leitende Funktion erlangte.
Woher kam Ihr Drang nach Verbesserungen?
Ich war vor der Weiterbildung in Frankfurt von 1962 bis 1964 für zwei Jahre in Kanada als „Male Nurse“ tätig, wofür ich mich erstmal in Kinder- und Frauenheilkunde fortbilden musste, da die deutsche Ausbildung dort gar nicht anerkannt war. Aber ich wollte Englisch lernen und unbedingt die nordamerikanische Krankenpflege kennenlernen. Die Medizin und mit ihr auch die Pflege war dort schon viel weiter entwickelt; das fing bei Einmalartikeln an und endete bei der Dokumentation der Pflege. In Deutschland hatte es durch den Krieg hingegen einen Entwicklungsstillstand gegeben: In meiner Ausbildung habe ich noch die Darmrohre ausgekocht, Kanülen geputzt, sterilisiert und wieder verpackt – alles machten die Schwestern und Pfleger noch in eigener Handarbeit (lacht). Und die Behandlung des einzelnen Patienten wurde nur durch die Ärzte dokumentiert. In Kanada wurde hingegen bereits ein Pflegeplan für jeden Patienten erstellt und die Behandlung dort auch durch die Schwestern und Pfleger dokumentiert. Als ich dann 1964 nach Deutschland zurückkam, wollte ich das auch hier umsetzen.
Gab Ihnen die Fortbildung ergo das Stipendium dann dazu die Möglichkeit?
Ja. Das lag aber auch daran, dass 1965 das Krankenpflege-Gesetz reformiert wurde: Die Ausbildung zum Krankenpfleger wurde von zwei auf drei Jahre verlängert. Und die Pflegeeinrichtungen waren angehalten, Leitungsfunktionen mit speziell Weitergebildeten, also mit Unterrichtsschwestern oder -pflegern zu besetzen. Daher kamen die Angebote der Pflegeschulen an uns Absolventen schon im letzten Teil der Ausbildung. Ich konnte mir also eine Stelle aussuchen und ging für drei Jahre als Krankenpflege-Schulleiter und Pflegedienstleiter nach Kaufbeuren. Dort und auch von 1969-1977 als Schulund Pflegedienstleiter in Memmingen war eine meiner ersten Aufgaben einen Pflegeplan einzuführen, nach dem gearbeitet wurde. Und auch die Pflege hat ihre Behandlung dokumentiert.
Also haben auch Sie dazu beigetragen, dass die Pflege-Planung und Dokumentation heute gesetzliche Pflicht ist?
Ich habe da nur ein bisschen beraten mit meiner Erfahrung (lacht). Denn das Thema wurde in den Berufsverbänden natürlich intensiv diskutiert und Fortbildungen initiiert. Aufgrund meiner Leitungsfunktionen war es aber schwierig, mich da auch noch nebenamtlich zu engagieren. Den pflegerischen Berufsverbänden ist es zu verdanken, dass die Pflicht zur Pflegeplanung und -Dokumentation in den 80er Jahren auch endlich gesetzlich verankert wurde.
Sind Sie der B. Braun Melsungen oder der Stiftung während Ihrer Berufstätigkeit wieder begegnet?
Oh ja! Die Verwendung von Einmalprodukte nahm ja Gott sei Dank auch in Deutschland ab den 60er Jahren zu. Da hatte die B. Braun Melsungen AG mit ihren Entwicklungen großen Anteil. Auf deren Infusionssysteme haben wir z.B. immer wieder gern zurückgriffen. Ich war in Memmingen als Pflegedienstleiter ja für den Einkauf von Pflegehilfsmitteln mit zuständig. Auch Dialysebehandlungen konnten wir dank der Systeme von B. Braun in Memmingen schon durchführen. Ich denke, B. Braun hat Großes dazu beigetragen, dass die medizinische Entwicklung in Deutschland schnell fortgeschritten ist. Außerdem hat die Krankenpflegeschule Sigmaringen, deren Leiter ich von 1977-2002 war, ab 1982 regelmäßig am B. Braun-Preis teilgenommen und 1986 hat eine Klasse den 1. Preis von 5000 DM gewonnen mit ihrem Thema: Die Pflege eines Patienten mit einer exogenen Intoxikation.
Welche Bedeutung hatte die B. Braun- Stiftung für Ihr Leben?
Große. Denn hätte ich die Fortbildung damals nicht finanzieren können, wäre ich nicht über 40 Jahre lang Lehrer gewesen. Ich hätte nicht jedes Jahr etwa 25 Krankenpflegeschüler ausbilden können, also insgesamt 1000 junge Menschen.
Haben Sie die B. Braun-Stiftung jemals weiterempfohlen?
Ich habe den Schülern auch von meiner Weiterbildung erzählt und allen immer empfohlen, sich ständig weiterzubilden. Denn die Medizin verändert sich sehr schnell und die Pflege mit ihr. Was in der Medizin neu eingeführt wird, muss auch in der Pflege übernommen werden! Weil sich in der Medizin aber so viel verändert, hat sich auch das Berufsbild des Pflegers verschoben: Viele Pflegekräfte sind inzwischen spezialisiert und machen alle möglichen Spezialaufgaben. Also fehlen die bei der Grundversorgung am Krankenbett, sodass der Bedarf an Pflegekräften enorm gestiegen ist und wir einen Pflegekräfte-Mangel beklagen.
Welche Probleme stellten sich Ihnen damals?
Pflegekräftemangel war auch damals schon ein Thema: Da hat man koreanische Krankenschwestern in deutsche Einrichtungen geholt. Die waren fast besser ausgebildet als deutsche, weil die Ausbildung in Korea nach amerikanischem Vorbild erfolgte. Zudem hat man versucht junge Leute durch eine bessere Ausbildungsvergütung in den pflegerischen Beruf zu bringen und so gab es vor 20 Jahren auch wieder mehr Krankenpflegeschüler. Heute ist bei der Vergütung jedoch im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen wieder ein Einbruch zu verzeichnen, sodass sich wieder ein Pflegekräftenotstand entwickelt.
Und wie hat vor diesem Hintergrund damals die Gesellschaft reagiert auf Männer in Pflegeberufen, also in einem typisch weiblichen Metier?
Also das war schon eine Besonderheit: Als ich z.B. in Memmingen als Schul- und Pflegedienstleiter begonnen habe, hat die Zeitung einen großen Artikel gebracht mit der Headline: „Unsere Oberin heißt Paul!“ Das war lustig (lacht). In meiner Weiterbildung damals waren wir nur fünf Männer unter 25 Frauen. Aber dort wir waren dennoch immer akzeptiert. Nur von denen, die keine Ahnung hatten, wurde man manchmal belächelt. Aber innerhalb der Branche gab es keinerlei Diskriminierung, denn da wusste man: Es geht gar nicht ohne Männer in der Pflege. Dabei geht es gar nicht mal ums Umlagern von schweren Patienten, dafür gibt es heute ja auch Hilfsmittel. Sondern: Die Medizin ist immer technischer geworden und mit ihr die Pflege. Im Intensivbereich finden Sie heute fast gleich viele Männer wie Frauen. Da sind so viele technische Geräte im Einsatz – und Männer haben eben oft ein besseres Verständnis für Technik – auch durch ihren ersten Ausbildungsweg, wie ich als Mechaniker. Man durfte die Krankenpflegeausbildung damals ja erst ab einem Alter von 18 beginnen. Wer sich dafür interessierte, hat die Zeit bis dahin mit einem anderen Beruf oder zig Praktika überbrückt.
Haben Sie heute noch mit Pflege zu tun?
Nicht wirklich. Nur in sofern, dass meine Frau als Alltagsbegleiterin in einem Pflegeheim arbeitet und ich so noch einiges mitkriege. Nachdem ich zuletzt 25 Jahre die Krankenpflegeschule in Sigmaringen geleitet hatte, habe ich zwar nach meiner Pensionierung in 2002 noch fünf Jahre lang stundenweise in der Berufsschule für Gesundheit und Pflege in Sigmaringen unterrichtet, aber jetzt möchte ich meinen Ruhestand genießen.
Haben Sie Ihre Frau über den Beruf kennengelernt?
Nein, das war keine Absicht (lacht). Wenngleich auch schon meine erste, leider 2011 verstorbene Frau, mit der ich 44 Jahre verheiratet war, als Kinderkrankenschwester tätig war.
Was machen Sie heute gerne?
Ich mache viel Sport, vor allem Nordic Walking. Zweimal pro Woche leite ich die Walking-Gruppe des Lauftreffs in Sigmaringen und mittwochs mache ich Gymnastik. Meine jetzige Frau habe ich auch beim Nordic Walking kennengelernt und wir machen gerne bei sportlichen Events mit. Ansonsten fahre ich viel Fahrrad, gehe schwimmen und liebe das Reisen. Also ich pflege mich jetzt quasi selber und fühle mich dabei sehr wohl.
Hätten Sie beruflich gerne noch etwas erreicht bzw. was müsste noch geändert werden in der Pflege?
Heute gibt es leider immer noch dieselben Probleme in der Krankenpflege- Ausbildung wie vor 50 Jahren: Damals wie heute müssen sich Schwestern und Pfleger von Anfang an spezialisieren. Da gibt es Kinderkrankenschwestern, Heilerziehungspfleger, Krankenschwestern und Altenpfleger – alle mit ihrer eigenen Ausbildung! Schon damals hat man versucht, diese vier Pflegebereiche in einer Ausbildung zusammenzuführen. Aber erst jetzt sind im Bundestag Vorschläge gemacht worden, dass alle vier Pflege- Disziplinen dieselbe Grundausbildung absolvieren und man sich erst nach zwei Jahren spezialisiert. Auch die Durchlässigkeit des Bildungssystems ist ein Diskussionspunkt, also dass man die Möglichkeit schafft, nach Mittlerer Reife und Berufsausbildung noch zu studieren. Das geht bislang nicht, außer man holt das Abitur nach. Es würde mich einfach freuen, wenn die Krankenpflege als Berufsstand auf ein anderes Niveau gehoben würde. Wenn sie wie in den USA und Kanada eine gleichwertige Anerkennung mit der Medizin erreicht. Es gibt zwar schon einzelne Pflege-Professoren und -Doktoren, aber das sind Ausnahmen.
Wären Sie gerne noch Pflege-Professor geworden?
Das wäre schon ein Ziel (schmunzelt), aber das ist jetzt mit meinen 77 Jahren vielleicht etwas zu spät.