Medizin mit dem Weitwinkel betrachten
Die Seminarreihe "Expertise in Leadership" hat eine lange Tradition. In 2011 rief die B. Braun-Stiftung das Programm ins Leben und entwickelte es seither stetig weiter. Klinikdirektor und Universitätsprofessor Prof. Dr. Timm Denecke aus Leipzig hat im Jahr 2014 die "Expertise in Leadership" als damals leitender Oberarzt der Klinik für Radiologie an der Charité in Berlin durchlaufen. Er erzählt uns im Interview, wie der Blick über den Tellerrand für ihn war und was sich seit seiner Teilnahme vor 10 Jahren beruflich für ihn verändert hat. Sein Rat: "Wer einmal ein Institut oder Klinik leiten will, sollte an dem Programm unbedingt teilnehmen."
Wie sind Sie auf die Initiative der B. Braun-Stiftung „Expertise in Leadership für Ärzte“ aufmerksam geworden?
Ich habe die Information von meinem Vorgesetzten erhalten, der direkt von der Stiftung angesprochen wurde, ob er einen Kandidaten mit Führungspotenzial für das Programm auswählen möchte. Ich habe dies als Auszeichnung betrachtet. Es ist inzwischen fast verpflichtend für einen Arzt mit dem Karriereziel eine Führungsposition einzunehmen, sich in Betriebswirtschaft und Management und vor allem Führungsfähigkeiten weiterzubilden und ein Zertifikat in der Art, wie es die B. Braun-Stiftung anbietet, zu erwerben. So habe ich zugesagt. Ich habe dann an dem Auswahlverfahren teilgenommen. Die Bewerbung muss einen Lebenslauf sowie ein Empfehlungsschreiben vom Arbeitgeber enthalten. In meinem Jahrgang von der "Expertise in Leadership" waren wir insgesamt 35 Teilnehmende. Die meisten Teilnehmenden waren Oberärzt*innen und leitende Oberärzt*innen, die den nächsten Schritt machen und Leitende eines Instituts werden wollen. Auch ich habe mir damals vorgenommen, das zu probieren, was mich zur Teilnahme an einem Leadership-Seminar motiviert hat.
Welche Vorteile haben Sie für sich in der Seminarreihe gesehen?
Externe Fortbildungsprogramme wie die "Expertise in Leadership" bieten aus meiner Sicht einen zusätzlichen Wert vor inhaltlich vergleichbaren Angeboten der eigenen Institution. Es ist nicht nur ein Blick über den Tellerrand, sondern es macht es möglich, Zusammenhänge aus einer globaleren Perspektive zu begreifen. Außerdem ist es nicht unwichtig, seine gewohnte Rolle komplett hinter sich zu lassen. Ich meine, dass man die allermeisten Teilnehmenden und auch die Referierenden und Moderator*innen nicht schon aus der eigenen Einrichtung oder der eigenen Fachgesellschaft kennt. Bei der "Expertise in Leadership" kommen Referierende und Teilnehmende aus ausgesuchten Institutionen bundesweit.
War die Zeit gut investiert?
Die "Expertise in Leadership" umfasst sieben Wochenenden, die man sich abknapst von der wenigen Freizeit, die einem als Universitätsmediziner bleibt, und die möchte man schon gut investiert wissen. Es ist entscheidend, dass es gut gemacht ist und gute Dozent*innen unterrichten. Mir hat das Programm sehr gut gefallen. Es ist offiziell zertifiziert, das heißt, dass es bzgl. der Themenbereiche ausgewogen ist und von allem etwas dabei ist. Die Seminarreihe ist sehr professionell und abwechslungsreich. Die Wochenendtermine, zu denen man nach Berlin und Morschen in Nordhessen anreist, helfen den Teilnehmenden fokussiert zu arbeiten und sich auf die Themen wirklich einzulassen. Dieser Workshop-Charakter bringt die Teilnehmenden automatisch in eine aktive Rolle. So ist die Zeit, trotz der wertvollen Wochenenden, gut investiert. Das Wissen, was in den einzelnen Seminarblöcken vermittelt wird, ist über einen anderen Kanal so kompakt schwer zu bekommen.
Von welchen Inhalten haben Sie besonders profitiert?
Man geht als Arzt und Ärztin ja oft etwas von oben herab an so eine Sache heran und denkt sich, mit gesundem Menschenverstand kann ich mir das alles selbst beantworten - das einzige, was fehlt, ist ein bisschen Fachsprech aus der Business-Welt. Das stimmt aber eben leider nur zum kleinen Teil. Das lässt sich erkennen, wenn man sich selbst überprüft, mit anderen vergleicht und sich ausprobiert. Und genau das gelingt in der "Expertise in Leadership" Seminarreihe.
Schon beim Lesen der Agenda hatte ich direkt das Gefühl, Lücken schließen zu müssen. Ich konnte mir schwer vorstellen, wie sich mit Begriffen wie Kommunikation oder Prozesse, was ich mehr oder weniger als selbstverständlich vorausgesetzt habe, inhaltlich ein Zwölfstunden-Seminar füllen lässt. Da musste eine Menge mehr dahinterstehen; mir fehlte hier der mir sonst so gewohnte Vorsprung. Ich habe erkannt, dass ich mich mit den Krankenhaus-Managementthemen auseinandersetzen muss.
Die Referent*innen und Seminarleiter*innen waren überwiegend exzellent. Natürlich konnte ich nicht mit allen meinungskonform sein, was auch gewollt war. Wir sollten die Seminarinhalte partiell kontrovers, aus einer anderen Perspektive kennenlernen und das Gesundheitssystem aus dem Weitwinkel betrachten.
Wie laufen die Seminarwochenenden ab?
Es gab in den einzelnen Seminarblöcken immer einen Vortrag, dann Break-out Groups mit viel Eigeninitiative und die anschließende konzeptionelle Ausarbeitung der Themen. Da waren durchaus Themen dabei, die – vielleicht auch bewusst um weniger Vorgabe zu machen – eher schwach moderiert wurden, sich dann aber in der Gruppendiskussion automatisch erschlossen haben. Dass die Moderator*innen sich zurückgenommen haben, wurde voll kompensiert von der Gruppe. Das war sehr effektiv und alles andere als verschwendete Zeit. Überhaupt ist die Gruppe, also die Auswahl der Teilnehmenden eine der großen Stärken der "Expertise in Leadership", da hier förmlich eine Elitetruppe zusammenkommt.
Sie würden die interprofessionelle Zusammenstellung der "Expertise in Leadership" also als positiv bewerten?
Der Austausch in der Gruppe ist ein weiterer Pluspunkt des Programmes. Die Teilnehmenden sind fachübergreifend multidisziplinär und je nach "Expertise in Leadership" Seminarreihe auch berufsgruppenübergreifend zusammengesetzt. Wir profitieren auch jetzt noch nach 10 Jahren voneinander. Ich weiß, an wen ich mich wenden kann, wenn ich ein entsprechendes Anliegen habe. Das funktioniert über privat geknüpfte Kontakte oder das Alumninetzwerk der Stiftung. Netzwerken ist wichtig.
Hinzu kommen die verschiedenen Referierenden und Projektgruppenleiter*innen, von denen viele aus nicht-ärztlichen Berufen im Medizinsektor kommen. Es gibt keine andere Plattform, wo Ärzt*innen mit anderen Berufsgruppen im Medizinsektor so intensiv über Medizin sprechen wie in dieser Seminarreihe. Im geschützten Raum der Seminare kann man sich auf anderer Ebene mit den einzelnen Fachthemen auseinandersetzen als im Krankenhaus. So konnte ich die Sichtweise der anderen Berufsgruppen im Krankenhaus verstehen lernen.
Möglicherweise ist das die wichtigste Erfahrung, die ich in dem Seminar machen konnte, denn mit diesen Personen muss ich im Krankenhaus zusammenarbeiten. Im Alltag bin ich immer fixiert auf meine Rolle als Arzt. Das heißt, ich muss meine Seite vertreten und der andere ist möglicherweise mein Gegner, beispielsweise wenn es um so etwas wie Budgetierung geht. Zu wissen, welche Motive und auch Argumente die anderen Berufsgruppen haben, in welcher Gedankenwelt sie zu Hause sind, ist sehr wichtig für mich. Ich weiß jetzt, wie ein Controller oder ein Einkäufer „tickt“ oder jemand, der für Qualitätssicherung zuständig ist. Das ist sehr wertvoll.
Hat sich durch das Programm an Ihrer beruflichen Situation etwas verändert?
Als Arzt und Ärztin verliert man im Klinikalltag sehr schnell den Blick auf das Ganze. Durch das "Expertise in Leadership" Programm habe ich das Gesundheitswesen im Weitwinkel betrachten können. Wir haben in den Seminaren immer wieder Feedback erhalten, was wir schon gut machen und wie wir uns noch verbessern können. Vieles davon lässt sich in den klinischen Alltag übertragen. Ich habe dadurch erkannt, wie und was ich kommunizieren muss, um Missverständnisse zu vermeiden oder wie konkret eine Information sein muss, damit ein anderer eine klare Einschätzung zu seiner Performance bekommt. Einiges habe ich schon einsetzen können – in Personalgesprächen, in der Kommunikation mit Mitarbeitenden, aber auch in der Prozessoptimierung, z. B. wenn es um den Transport von Informationen im klinischen Behandlungsfall geht.
Sie leiten inzwischen eine Klinik in Leipzig?
Ja, auch heute, in meiner Rolle als Klinikdirektor und Lehrstuhlinhaber für Radiologie mit ca. 100 Mitarbeitenden in meiner Organisationseinheit, sind alle damals bearbeiteten Themen hoch relevant. Ganz wesentlich haben mir die interaktiven Teile der "Expertise in Leadership" zu Management und Führungsrolle im Bewerbungsverfahren auf meine heutige Stelle geholfen, bei dem ein Assessment zum Einsatz kam, welches ganz ähnliche Inhalte und Skills abfragte, wie die "Expertise in Leadership" sie trainiert.
Die meisten Teilnehmenden waren Oberärzt*innen und leitende Oberärzt*innen, die den nächsten Schritt machen und Leitende eines Instituts werden wollten. Auch ich habe mir damals vorgenommen, das zu probieren, was mich zur Teilnahme an dem Leadership-Seminar motiviert hatte. Davon hat mich die Seminarreihe alles andere als abgebracht und ich habe eine Idee bekommen, um was ich mich sonst noch kümmern muss. Die "Expertise in Leadership" ist kein Karriereschnupperkurs. Es wird in den Teilnahmebewerbungsverfahren sehr darauf geachtet, dass jemand nicht nur Führungsqualität, sondern bereits auch Führungspraxis mitbringt. Wer einmal ein Institut oder Klinik leiten will, sollte an dem Programm unbedingt teilnehmen. Entsprechend habe ich bereits eine hochkarätige Mitarbeiterin meiner Klinik zur "Expertise in Leadership" entsendet.