Keine Angst vor falschen Entscheidungen
Verantwortung als Führungskraft übernehmen, ist für viele Pflegenden immer noch mit Ängsten verbunden. Vielfach herrscht Unsicherheit, wie der Karriereweg aussehen soll und wie sich mit Widerständen und Rückschlägen umgehen lässt. Worauf kommt es eigentlich an? Wir sprachen dazu mit Anja König. Sie ist Pflegedirektorin im Klinikum Mittelbaden und die „Pflegeexpertin“ in unserem Programm „Expertise in Leadership“. Einer ihrer wichtigsten Tipps: immer dem wertebasierten Kompass folgen, das hilft enorm bei der Entscheidungsfindung.
Frau König, gehen wir etwas zurück: Was hat Sie vor 20 Jahren bewogen Krankenschwester zu werden?
Ich wollte immer einen Beruf ausüben, in dem ich mit Menschen arbeiten kann. Ein pflegerisches Vorbild war unsere Gemeindeschwester. Viele Menschen aus unserem Ort gingen mit gesundheitlichen Fragen zu ihr. Sie hatte aus heutiger Sicht eine sehr gute Beratungskompetenz, versorgte „einfache“ Wunden, kannte aber auch ihre Grenzen und verwies dann an den Hausarzt. Dieses breite Handlungsfeld hat mich sehr begeistert.
Wie war diese Zeit für Sie? Welche Erfahrungen haben Sie noch in Erinnerung?
Sehr viele, sehr schöne, aber auch anstrengende und traurige – das Spektrum der gemachten Erfahrungen ist breit.
Ich bin ein Freund von Patientengeschichten, die diese Erfahrungen nachvollziehbar machen.
Eine der ersten Prägungen für mich fand im Nachtdienst auf der Hals-Nasen-Ohrenstation statt. Eine Anfang 40-jährige Patientin klingelte, die am Tag zuvor eine große Tumorausräumung im Halsbereich hatte. Die Gefäßplastik hatte sich gelöst und die Patientin blutete massiv, da die Carotis betroffen war. Ich habe die blutende Wunde durch Aufdrücken meiner Hand komprimiert und Notfallalarm ausgelöst. Die Patientin war mittlerweile nicht mehr ansprechbar; trotzdem habe ich während der gesamten Notfallversorgung ruhig mit der Patientin gesprochen, ihr versucht zu erklären, was wir tun, wer im Raum ist und dass sie in guten Händen ist. Als die Patientin dann im OP war, habe ich erst registriert, wieviel Angst ich selbst hatte.
Am darauffolgenden Tag habe ich die Patientin vor Dienstbeginn auf der Intensivstation besucht. Ich war überglücklich, sie wach anzutreffen. Sie hat mir gesagt, dass sie meine Stimme die ganze Zeit gehört hat und sich an meiner Stimme festgehalten hat. Wir haben dann beide geweint, aus Rührung oder aus Dankbarkeit – ich weiß es nicht mehr genau. Mit dieser Frau habe ich bis zu ihrem Tod zwölf Jahre später Kontakt gehalten. In den schweren Stunden, in denen ich an meinem Beruf gezweifelt habe, war der Austausch mit ihr immer eine wichtige Werteorientierung.
Was war der Anstoß, Führungskraft zu werden?
Ich habe klare Vorstellungen von Pflege, von den Möglichkeiten und Aufgaben, die wir als Berufsgruppe in der Patientenversorgung übernehmen wollen und im Sinne der Patientenversorgung auch sollten. Nach Abschluss meiner Leitungsqualifikation wollte ich diese Vorstellungen in die Tat umsetzen. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Ich möchte Patienten- und Gesundheitsversorgung gestalten und ich möchte Menschen für diesen Beruf begeistern und entwickeln. Diese zwei Aspekte treiben mich.
Wurden Ihnen Steine in den Weg gelegt?
Aber selbstverständlich. Ich bin sehr jung in die Führungsrolle gekommen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich war wenig diplomatisch und habe mir oft eine „blutige Nase“ geholt. Ein Vorteil war, dass ich aus innerer Überzeugung meine Entscheidungen getroffen und das Team immer eingebunden habe. Das war enorm hilfreich.
„Sich gut vernetzen und Wissen mit anderen teilen. Das hilft in schwierigen Patientensituationen und in der Führungsaufgabe.. Ein stabiles privates Netz hilft enorm. “
Fachkräftemangel - die große Herausforderung – bedeutet das nicht, Angst zu haben Mitarbeitende zu verlieren oder ist es das Gegenteil: Es entsteht die Motivation, Mitarbeitende zu halten und weiterzuentwickeln?
Eine der wichtigsten Führungsaufgaben ist die Entwicklung von Mitarbeitenden. Mich macht es stolz, Menschen wachsen zu sehen, auch wenn es oft einher geht mit dem Verlust von tollen Kolleginnen und Kollegen. Dafür kommen andere hinzu. Es geht um die große Aufgabe einer guten Patientenversorgung, dafür braucht es stolze, gut qualifizierte Mitarbeitende.
Was war für Sie in der Entwicklung Ihrer Karriere besonders wertvoll? Haben Sie einige Tipps?
Meine Top 7:
- Authentisch sein – das war für mich der Dreh- und Angelpunkt. Aufgesetztes Verhalten oder angelesene Instrumente anwenden tragen langfristig nicht.
- Einen stabilen inneren Kompass haben und wissen, für welche Werte man steht. Das ist hilfreich für schwierige Entscheidungen.
- Nah an den Menschen sein und sie mitnehmen – das heißt auch mal Schwäche oder Ratlosigkeit zugeben.
- Gut zuhören, um die Bedürfnisse und Beweggründe verstehen zu können.
- Keine Angst vor falschen Entscheidungen, sondern diese nach Abwägen aller Vor- und Nachteile beherzt treffen.
Keine Entscheidung zu treffen ist die schlechteste Strategie und Stärke heißt auch, falsche Entscheidungen zuzugeben und zu revidieren. - Sich gut vernetzen und Wissen mit anderen teilen. Das hilft in schwierigen Patientensituationen und in der Führungsaufgabe.
- Ein stabiles privates Netz hilft enorm.
Haben Sie auch Anregungen für unsere Lesenden, wenn es nicht so funktioniert oder nicht weitergeht?
Ich versuche immer, „in die Schuhe des anderen“ zu treten und mir klarzumachen, was die Ursache von Widerstand ist. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse und Ängste. Diese versuche ich ernst zu nehmen und mich auch selbst fortlaufend zu reflektieren.
Außerdem ist Stillstand nicht immer negativ, sondern notwendig zur Festigung von neuen Arbeitsweisen, Verhalten oder Teamfindungsprozessen. Phasen des vermeintlichen Stillstandes sichern die Nachhaltigkeit. Viel-Feuer-Strategie, die nicht nachhaltig ist, kostet Ressourcen und verändert langfristig nichts.
Zum Thema ausgebremst werden: da halte ich es mit Hilde Domin, die gesagt hat, „nicht müde werden“. Hier ist hilfreich, mit Verbündeten die Themen voranzubringen und regelmäßig zurückzublicken. Wir sehen die Fortschritte manchmal nicht, wenn wir im Alltag verhaftet sind.
Sie selbst haben nach über 30 Jahren im Klinikum Heidelberg in die Pflegedirektion nach Mittelbaden gewechselt. Zahlt Mut sich aus?
Unbedingt. Ja, ich habe mit gemischten Gefühlen nach 32 Jahren am Universitätsklinikum Heidelberg den Weg nach Mittelbaden angetreten. Tatsächlich hat mir meine Teilnahme in der Expertise in Leadership 2018/19 dazu den Impuls gegeben. Ich dachte „jetzt oder nie, du kannst das!“. Das Programm beflügelt auf eine gewisse Art und Weise. Wir haben viel über Krankenhausmanagement erfahren und selbst in multiprofessionellen Teams Lösungen entwickeln dürfen. Das hat mir – trotz aller bis dahin gemachten Erfahrungen als Führungskraft – eine neue Perspektive eröffnet. Wie Sie sehen, wurde ich offen für den nächsten Schritt und eine neue große Herausforderung!
Oft habe ich mich später gefragt, was mich eigentlich „geritten“ hat, aus meiner Komfortzone rauszugehen und meine Vorstellung von Pflege letztverantwortlich umzusetzen. Heute würde ich sagen, es war richtig und es war wichtig für mich.
Was macht besonders Spaß an Führung?
Führung heißt, gestalten können, mit einem Team gemeinsam arbeiten dürfen, Verantwortung übernehmen für Dinge, die einem wichtig sind und die Entwicklung von Mitarbeitenden mit Impulsen und Angeboten aktiv zu fördern. Das macht enormen Spaß.
Anja König hat vor 35 Jahren ihre Ausbildung zur Krankenschwester im Saarland abgeschlossen. Nach ihrem Wechsel ins Universitätsklinikum Heidelberg absolvierte sie verschiedene Weiterbildungen (Weiterbildung zur Mentorin (1990), Stationsleitungsqualifikation (1991) und ließ sich 1998 zur Lehrerin für Pflegeberufe weiterbilden. Anschließend arbeitete sie als stellv. Schulleitung an der Schwesternschule der Universität Heidelberg. Während ihres Studiums zur Diplom Pflegewirtin übernahm sie die Abteilungsleitung für Kompetenzentwicklung und Beratung an der Akademie für Gesundheitsberufe. Von 2017 bis 2020 hatte König die Stabsstelle für Qualität und Entwicklung in der Pflege in der Pflegedirektion inne und schloss in der Zeit ihr Masterstudium im Bereich Personalentwicklung ab. Seit 2021 ist sie als Pflegedirektorin im Klinikum Mittelbaden verantwortlich für drei Akutkliniken, sieben Pflegeeinrichtungen, einen ambulanten Pflegedienst und ein Hospiz. Bevor Anja König in der Expertise in Leadership in das Programmteam wechselte, hat sie selbst das Leadership-Programm durchlaufen.
Anja König , M.A.
Pflegedirektorin
Klinikum Mittelbaden gGmbH
76530 Baden-Baden
Fon: +49 (7221) 91-1932