Magnetkrankenhäuser in Deutschland: Die Lösung aller Probleme?
Das Magnet®-Konzept wird in den USA als Qualitätsmerkmal gesehen und steht für gute Arbeitsbedingungen sowie gute (Pflege-)Qualität. In den Vereinigten Staaten sind vor allem Universitätskliniken akkreditiert. Die Pflegewissenschaftlerinnen Dr. Claudia B. Maier, Julia Köppen und Joan Kleine aus Berlin haben, untersucht, wie sich das Konzept der Magnetkrankenhäuser auf Deutschland übertragen lässt. Die B. Braun-Stiftung hat die Befragung finanziert.
Das Konzept der Magnet®-Krankenhäuser ist seit Jahrzehnten in den USA etabliert, weltweit sind etwas mehr als 500 Krankenhäuser Magnet® zertifiziert. Magnet®-Krankenhäuser sollen Krankenhäuser sein, die auf ihr Pflegepersonal eine „magnetische Anziehungskraft“ ausüben. Wer das U.S.-amerikanische Magnet®-Modell erfolgreich umgesetzt hat, ist zertifiziert und bietet überdurchschnittlich gute Arbeits- und Pflegebedingungen. Damit verbunden ist nicht nur eine erhöhte Personalbindung, sondern oftmals auch eine verbesserte Qualität der Versorgung, die durch exzellente, evidenzbasierte Pflege erreicht wird. Die Anfänge des Magnet®-Modells reichen in die 1980er Jahre zurück. In dieser Zeit bestand ein Pflegenotstand in den USA, der es erschwerte, gut qualifiziertes Pflegepersonal zu gewinnen und zu halten. Außerhalb der USA sind es weniger als 20 Kliniken, z. B. in Australien, Belgien, Kanada, im Libanon und in Saudi-Arabien, offizielle Magnet®-Krankenhäuser. In Europa gibt es bisher nur zwei Magnet®-Krankenhäuser (in Antwerpen, Belgien, und in Nottingham, England).
Das Team führte die Befragung durch, um zu erfahren, ob das U.S.-amerikanische Magnet®-Modell auf deutsche Krankenhäuser übertragbar ist, welche Faktoren die Umsetzung positiv bzw. negativ beeinflussen und welche Veränderungsprozesse in den Kliniken angestoßen werden. In Deutschland haben sich bisher um die 20 Krankenhäuser als Vorreiter (sog. „early adopters“) auf den Weg der Implementierung gemacht, wie z. B. das UKE in Hamburg und die Universitätskliniken in Ulm. Als sog. Machbarkeitsstudie sollte erstmalig für Deutschland analysiert werden, was die Beweggründe der „early adopter“ Krankenhäuser waren, das Magnet®-Modell in Deutschland einzuführen. Die Erfahrungen der „early adopter“ Krankenhäuser und anderer Expertinnen und Experten sollten mittels qualitativer Interviews systematisch identifiziert und analysiert werden, um Empfehlungen abzuleiten.
Was sind laut Modell die Kernelemente guter Pflege- und Arbeitsbedingungen?
Es gibt fünf Hauptkomponenten, die vom American Nurses Credentialing Center (ANCC) als wichtige Elemente für gute Pflege- und Arbeitsbedingungen identifiziert wurden. Diese sind von Wechselwirkungen geprägt und im Kontext globaler Themen in Pflege und Gesundheit verortet.
Die in den 1980-er Jahren ursprünglich als Magnet® Krankenhäuser identifizierten Einrichtungen unterschieden sich in den sogenannten „14 Kräften des Magnetismus“ von anderen Krankenhäusern. Zu den 14 Punkten gehören u.a. Pflegeführung, Qualität der Pflege und berufliche Entwicklung, die zu einem positiven Arbeitsumfeld beitragen, mit dem Ziel, eine hohe Fluktuation von Pflegekräften zu verhindern und Arbeits- sowie Patientenzufriedenheit zu verbessern. Eine Überarbeitung des Modells ordnete die 14 Kriterien den sog. fünf Hauptkomponenten zu und schaffte somit Redundanzen ab, was die Umsetzung des Modells erleichtern sollte. Darüber hinaus wurde das Element der evidenzbasierten Ergebnismessung (“empirical outcomes“) gestärkt, um zeitnah Veränderungen messen zu können. Das ANCC ist auch heute noch die zertifizierende Einrichtung von Magnet®-Krankenhäusern, offiziell Magnet®-Recognition Programm genannt.
Aufbau der Interviews
Die Methodik basierte auf einem qualitativen Studiendesign. Qualitative Studien werden in der empirischen Sozialforschung generell angewandt, um kontextuales Wissen und Expertenwissen zu generieren, wenn bis dato kaum oder nur unzureichende Evidenz existiert. Gerade bei Fragen der Implementierung komplexer Interventionen wie bspw. des Magnet®-Konzepts, sind Erkenntnisse der direkt involvierten Leitungs- und Fachkräfte unabdingbar.
Die 18 Experteninterviews wurden im Zeitraum März-Oktober mit Führungs- und Fachkräften durchgeführt, die in einer der fünf Kliniken arbeiten und aktiv an der Umsetzung des Magnet®-Konzepts beteiligt waren.
Einschlusskriterien waren (erste) Erfahrungen in der Umsetzung des Magnet® oder Pathway® Konzepts in einem deutschen Krankenhaus. Die Interviews wurden mit Führungskräften auf Krankenhausleitungsebene (PDR, Geschäftsführung, ärztliche Direktion) durchgeführt, aber auch im mittleren Management (Stabstellen, Stationsleitungsebene) und mit Fachkräften, die in der direkten Pflege arbeiten, dabei hatten 17 der 18 Interviewpartner Führungserfahrung. Darüber hinaus wurden die Interviewpartner gefragt, was die Beweggründe waren, speziell ein U.S.-amerikanisches Modell in ein deutsches Krankenhaus zu implementieren (auch mit Hinsicht auf andere, in Deutschland existierende Qualitätssicherungsmaßnahmen für Krankenhäuser).
Das Ergebnis: Ist Magnet® bei uns adaptierbar?
Die Magnet®-Pionier-Studie konnte zeigen, dass die Magnet®-Komponenten weitestgehend im deutschen Kontext umsetzbar sind. Die Kliniken waren zum Zeitpunkt der Interviews dem Magnet®-Konzept gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt und befanden sich unterschiedlich weit im Prozess der Umsetzung. Eine Vernetzung mit U.S.-amerikanischen Magnet®-Kliniken als auch ein Austausch auf nationaler Ebene zwischen den Kliniken wurde als förderlich erachtet. Zudem ist eine Unterstützung durch das obere Management (Geschäftsführung, Pflegedirektion) von Vorteil.
Als Herausforderungen wurden die Themen starre Hierarchien, unzureichende Akademisierung von Pflegefachpersonen, das Benchmarking zu pflegesensitiven Indikatoren, mangelnde Digitalisierung sowie wenig etablierte Pflegewissenschaft genannt. Insgesamt zeigte sich, dass der Weg zur Anerkennung als Magnet®-Krankenhaus eine lange Reise ist, die sich aber durchaus lohnen kann.
Aus: „Strukturen exzellenter Pflege schaffen“: Magnet®-Studie für Deutschland. 2023. Durchgeführt vom Fachgebiet Management im Gesundheitswesen (Lehrstuhl Prof. Dr. med. Reinhard Busse, MPH), Technische Universität (TU) Berlin.Dr. Claudia B. Maier (Projektleitung), MSc (Public Health), Julia Köppen, Msc (Public Health), Joan Kleine, MSc (Public Health)