Was hat ein Schiedsrichter mit Pflege zu tun?
Lebendig, anspruchsvoll, modern und informativ - so lässt sich die Fortbildung für Pflegende vom 02. Dezember 2022 beschreiben. Special Guests waren alle Referent*innen - dennoch war der international erfolgreiche Ex-Schiedsrichter Urs Meier mit seinem Vortrag zum Thema Entscheidungen ein Highlight der besonderen Art. Denn wann kommt ein berühmter FIFA-Schiedsrichter schon einmal auf eine Pflegefortbildung?
Auch dieses Jahr hat die B. Braun-Stiftung mit einem abwechslungsreichen Programm auf der Fortbildung für Pflegende 1000 Teilnehmende erreicht. Zu den Highlights zählten u.a. die Nursing Pitch Session, die von Prof. Patrick Jahn und Alexander Katzung geleitet wurde, die Vorstellung des Sweet Nährstoffboosters von Stephan Wengel sowie der Auftritt des ehemaligen Schiedsrichters Urs Meier, der zu Entscheidungsfindungen referiert hat. Standing Ovations gab es für die Präsidentin des Pflegerates Christine Vogler, die ihren Vortrag völlig frei hielt. Neben vielen erfahrenen Pflegenden sowie Pflegeleitungen sind auch wieder zahlreiche Auszubildende nach Kassel gekommen. Moderator Joachim Prölß aus Hamburg ließ alle Auszubildenden zu Beginn der Veranstaltung einmal aufstehen und bedankte sich dafür, dass sie den Pflegeberuf ergriffen haben.
„Jeder von Ihnen hat es in der Hand etwas zu verändern, wir brauchen jeden und jede Einzelne von Ihnen!“ sagt Christine Vogler. Damit meint sie, dass sich jede*r engarieren muss. Wenn nicht, so Vogler, werden wir in einigen Jahren einen Pflegeberuf haben, mit dem sich die Pflegenden schwer tun werden. "Denn wenn die Pflegenden es nicht tun, dann macht es entweder keiner oder andere und das hat dann mit der Pflege nichts mehr zu tun." Deshalb plädiert Vogler an alle Pflegenden, sich in Verbänden zu engagieren, da es ihrer Meinung nach, zu dem Beruf der Pflege gehört:. "Es reicht nicht nur den Beruf zu erlernen, sondern Sie müssen sich auch dafür einzusetzen." Das müsse zu einem Selbstverständnis werden.
47 Prozent sind stolz auf ihren Beruf
Neben dem Engagement für den Beruf spielt auch der Berufsstolz eine wichtige Rolle. Damit befassten sich der Pilot Martin Egerth und der Intensivpfleger Benjamin Walder. Es steht gar nicht so schlecht um den Berufstolz. In einer kurzen Umfrage via Slido im Saal kam heraus, dass 48% der Teilnehmenden sehr stolz, 47% stolz und 4% eher nicht stolz auf ihren Pflegeberuf sind. Und: Laut einer Forsa-Umfrage zähle der Pflegeberuf in Deutschland direkt nach dem Feuerwehrmann zu den angesehensten Berufen, sagen Walder und Egerth.
Ja, woran liegt es denn dann, dass viele Pflegende sich nicht gewürdigt fühlen? Einen großen Anteil an der Entwicklung von Berufstolz haben die Führungskräfte bzw. die Erfahrungen, die Pflegende im Alltag machen. Denn um Berufstolz zu entwickeln, braucht es Wir-Gefühl, auf andere zugehen, Vertrauen, Sicherheit (Fehler eingestehen können), Raum für Kreativität, Empathie und Situationsbewusstsein. Fragen Sie Ihre Mitarbeiter*innen morgens vor Dienstbeginn, ob es ihnen gut geht? Deshalb müsste sich die Haltung von Führenden ändern, so Walder. Walder sieht die Führungskraft als Coach, als Unterstützer und Begleiter der Mitarbeiter*innen, die ihre tägliche Arbeit unterstützen. Aktives Zuhören, Gesprächsangebote machen, den Einzelnen und das Team stärken - das sei wichtig. Und: "Wenn der Topf nicht mehr der richtige ist, dann müssen Sie sich einen anderen "Gärtner" suchen!" sagt Egerth.
Professionell und gesundheitsförderlich pflegen – was heißt das heute?
„Die Pflege ist ein Heilberuf, auf den wir stolz sein können“, so Prof. Dr. Frank Weidner. Der Wissenschaftler von DIP (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung) knüpft an den Berufsstolz an. Pflege stehe nicht am Ende der Versorgungskette, sondern Pflege kann gesundheitsförderlich, präventiv und palliativ sein. Außerdem stehe sie auf einer Ebene mit der Medizin und der sozialen Arbeit. Allerdings findet Pflegearbeit immer unter gesundheitsgefährdeten Bedingungen statt. Die Bereitschaft dieser Berufsgruppe ständig über die eigenen Grenzen zu gehen, hat sich in der Pandemie u.a. in dem bekannten Slogan: „Wir sind für Euch da. Bleibt Ihr zuhause“ gezeigt.
"Als Pflegende muss ich mein Wissen auf jeden Patienten neu anwenden, denn jeder Fall ist anders", so Weidner. Deshalb brauche es in der Pflege ein regelhaftes Wissen, auf das sich die Pflegenden verlassen können, so Weidner. Dieses Wissen muss in Zusammenhang mit dem Fallwissen gebracht werden. Wenn dann noch Erfahrung und Berufskompetenz hinzu kämen, die sich erst über die Jahre entwickeln, gelange man zum Kern der professionellen Pflege. In dem Zusammenhang appelliert Weidner an die Pflegenden, dass sie sich in Fachfragen auf vertrauenswürdige und fachkompetente Quellen beziehen sollen. Die Coronapandemie habe auch hier gezeigt, wie wichtig das sei. Für Weidner heißt professionell und gesundheitsförderlich pflegen, dass man die Fähigkeit zur Selbstsorge besitzt, denn das sei die Fähigkeit und Vorraussetzung dafür fürsorglich zu sein. Das sei weder Egoismus noch Arroganz, „sondern die Fähigkeit für andere Menschen da zu sein hat damit zu tun, auch für sich selbst Grenzen zu setzen. Nur dann kann man das über viele Jahre machen“, so Weidner.
Community Health Nursing – starke Pflege in Quartier und Kommune
Um Gesundheitskompetenz und Prävention geht es auch in dem Vortrag zur einem neuen Berufsbild in der Pflege: Der Community Health Nurse (CHN). Seit langem ist klar, dass die ambulante Pflege besser funktionieren und mehr Menschen gewinnen muss, in diesem Berufsfeld zu arbeiten. Prof. Dr. Thomas Fischer sieht hier eine starke Pflege in Quartier und in der Kommune wie sie sich in anderen Ländern bereits etabliert hat Erste Modellprojekte in Deutschland laufen. Noch ist die Finanzierung unklar. Eine CHN ist sozusagen die Gemeindeschwester von früher. Sie ist allerdings nicht nur eine gute „Kümmererin, Freundin und Stütze im Alltag“, so Fischer, sondern sie betreibt Prävention und stärkt damit die Gesundheitskompetenz der Patient*innen oder potenzieller Patient*innen. Unterstützen könnte dabei digitale Technik, wie bspw. eine digitale Patientenakte, die dem behandelnden Arzt, den Therapeut*innen und der Community Health Nurse zur Verfügung steht. Ziel ist, dass die CHN rechtzeitig erkennt, dass eine Krise entsteht, bevor diese Krise da ist, sucht sie die Patienten auf und führt ein Assessment durch.
Das Aufgabenspektrum einer Community Health Nurse
- Gesundheitsförderung (Gesundheit soll in den Alltag gebracht werden)
- Krankheitsprävention
- Disease Management
Urs Meier: Ein anderer Blickwinkel. Du bist die Entscheidung
Wenn ein Schiedsrichter nicht schnell Entscheidungen treffen muss, wer dann? Special Guest war dieses Jahr Urs Meier, der ehemalige WM-Schiedsrichter aus der Schweiz. Für ihn sind Entscheidungen auf dem Platz denen in der Gesundheitsversorgung ähnlich. Er zog Parallelen. Im Sport und in der Gesundheitsversorgung müssten oft schnell Entscheidungen getroffen werden, die eine große Auswirkung haben. Eindrucksvoll schilderte er kritische Spiele, bei denen er in Stadien mit mehr als 80 000 Fans und Millionen an den Fernsehern die Entscheidung für eine Mannschaft fällen musste. Nach solchen schweren Entscheidungen mit Tragweite kann man sich aber nicht ausruhen, sondern dann hat, so Meier, die Alarmglocke zu läuten, denn nach jeder großen Entscheidung kommen viele kleine weitere Entscheidungen, die genauso wichtig sind. In einem guten Team würden Hierarchien abgebaut und man spreche nach außen nur mit einer Sprache! Wichtig sei, sich konkrete Ziele zu setzen und sich klar zu machen, wo man hin möchte. Auf den Mount Everest, die Zugspitze oder einfach auf einen Feldberg? Wenn man sich seine Ziele gut setzt, so Meier, erreiche man diese auch. Aber man müsse sie klar definieren. Für Entscheidungen ist es ihm besonders wichtig vom Anderen her zu denken, also den Blickwinkel verändern. Denn Entscheidungen sollten fair sein.
Sweet Nährstoff Booster
Demente Menschen vergessen oder verlernen oft das Essen, was zu einer Mangelernährung und einer Dehydrierung führen kann. Diese Mangelernährung wiederum fördert die Demenz. Hinzu kommt, dass die nötige zusätzliche Nahrungsaufnahme und auch das Anreichern besonders nährstoffreicher Kost sehr zeitaufwendig und anstrengend für Pflegende und Angehörige ist.
Um dieses Problem zu lösen, hat Stephan Wengel mit dem Ernährungstherapeuten und Koch Sören Kube ein Fruchtgummi entwickelt, das als Nährstoffbooster fungieren soll. Dieses Fruchtgummi hat psychologisch ansprechende Farben, vor allem orange, gelb und rot eignen sich laut Wengel gut für ein ansprechendes Produkt. Zudem gibt es verschiedene Formen, wie Rose oder Smiley. Neben den wichtigen Nährstoffen sollte es auch süß sein, da süße Speisen von Menschen mit Demenz bevorzugt werden. Die Süße und auch die Optik des Sweet Nährstoffbooster regen zum Verzehr an, da sie stark an Süßigkeiten erinnern.
Ziel der Fruchtgummis von Wengel ist, dass die Fehl- und Mangelernährung durch die Einnahme dieser Sweet Nährstoff Booster unterbrochen wird und die Patient*innen ganz einfach und schnell ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden können. Das könne das Gesundheitssystem entlasten und den Menschen gleichzeitig wieder Freude am Essen bringen.
Und noch mehr Innovationen
Auch dieses Jahr konnten einige Startups wieder ihre Produkte für eine innovative Pflege auf der Fortbildung in Kassel vorstellen und pitchen. Dazu lesen Sie gerne unsere News "Ideen für die Pflege von morgen". Die nächste Fortbildung für Pflegende findet am 01. Dezember 2023 in Kassel statt.