"Im Vergleich zu den USA stehen wir noch am Anfang"

"Im Vergleich zu den USA stehen wir noch am Anfang"

Dr. Cornelia Henschke hat ein Jahr lang im Rahmen des Harkness Fellowship-Programms an der Duke University in North Carolina geforscht. Als Deutscher Stipendiat untersuchte sie den Marktzugang und Finanzierungsmechanismen neuer Medizintechnologien. Mit überraschendem Ergebnis: Das US-amerikanische Gesundheitssystem sei zwar viel innovativer als das deutsche, allerdings sei es für innovative Medizinprodukte in der staatlichen Krankenversicherung schwieriger in die Innovationsfinanzierung zu gelangen, sagt die Gesundheitsökonomin. Dr. Cornelia Henschke im Interview.

Sie waren ein Jahr im Rahmen des Harkness Fellowships an der Duke University in North Carolina, wie fühlt es sich an, wieder in Deutschland zu sein?
Dr. Cornelia Henschke:
Ich sehe das mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Es war eine tolle Zeit in den USA, im Besonderen um Einblicke in eine andere Mentalität und ein – im Vergleich zu Deutschland und den meisten europäischen Ländern – komplett anders funktionierendes Gesundheitssystem zu bekommen. Besonders fasziniert haben mich innovative Versorgungsansätze, die in Deutschland doch an einigen Stellen noch fehlen. Auch wenn Maßnahmen wie beispielsweise der Innovationsfond die Entwicklung innovativer Versorgungskonzepte fördern, stehen wir hier noch am Anfang. Ich freue mich jedoch sehr, mich wieder den Strukturen und Problemen der deutschen Gesundheitsversorgung zu widmen. Auch habe ich nach meinem Aufenthalt den Zugang zu Gesundheitsleistungen in Deutschland zu schätzen gelernt. Eine Gesundheitsversorgung, die für viele Menschen schnell in ein finanzielles Fiasko münden kann, entspricht m. E. nicht unseren Grundsätzen hier in Deutschland. Der Wiedereinstieg am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen und dem Gesundheitsökonomischen Zentrum Berlin an der Technischen Universität in Berlin fiel mir sehr leicht, da ich regelmäßig Kontakt mit meinen Mitarbeiter*innen der Nachwuchsgruppe und auch anderen Kolleg*innen hatte.

Wie war die Forschung an der Duke – auch im Vergleich mit hier?'
Dr. Cornelia Henschke:
Die Forschung an der Duke Universität hatte im Vergleich zu meinem bisherigen Arbeitsplatz Berlin den Vorteil, dass eine Universitätsmedizin vorhanden war. Wir arbeiten zwar auch in vielen Projekten mit der Charité- Universitätsmedizin zusammen, jedoch eröffnet die eigene Universitätsmedizin im Hause natürlich ganz andere Einblicke und eine engere Zusammenarbeit. Die Brownbag-Seminare, an denen Mitarbeiter*innen aus der Medizin der Versorgungsforschung und der Gesundheitspolitik teilnahmen, bot eine große Chance zum interdisziplinären Austausch. Fasziniert haben mich die internen Arbeitsweisen und Strukturen der Universität sowie die Relevanz der externen Darstellung der Fachgebiete sowie der Forschung. Das liegt natürlich an den privaten Strukturen, hat aber den Vorteil, dass Universitäten eine m. E. größere gesellschaftliche Rolle in der Aufklärung von Gesellschaft und Politik einnehmen. Advisory Boards sowie ein Direktor für Kommunikation gehörten hierbei auch zum Kern größerer Institute.

Wie würden Sie das Harkness Fellowship beschreiben?
Dr. Cornelia Henschke:
Das Harkness Fellowship ist beruflich als auch persönlich etwas ganz Besonderes. Es bietet die Gelegenheit sich ein Jahr lang auf die eigene Forschung zu fokussieren, das amerikanische Gesundheitssystem mit all seinen Facetten kennenzulernen, berufliche Kontakte zu knüpfen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Dabei bietet das Programm die Möglichkeit, Personen aus Politik, Forschung und Industrie kennenzulernen und nicht zuletzt damit ein Netzwerk für weitere Forschungsaktivitäten aufzubauen. Eine Besonderheit des Harkness Fellow Programms gegenüber anderen Programmen liegt zudem in den regelmäßigen organisierten Treffen mit den anderen Stipendiaten aus Australien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Neuseeland und Norwegen. Hierdurch bietet sich die Chance Netzwerke über die USA hinaus zu erweitern. Die organisierten, methodischen und fachlichen Seminare, Workshops hinsichtlich der eigenen Reflektion von Führung sowie der Besuch von Konferenzen geben zudem eine einmalige Chance, sich weiterzuentwickeln.

Wie würden Sie den Benefit beschreiben?
Dr. Cornelia Henschke:
Der größte Nutzen aus meiner Sicht ist das Netzwerk von Experten aus unterschiedlichen Bereichen im Gesundheitssystem, die natürlich im Rahmen weiterer Forschungsaktivitäten sehr hilfreich sein können. Hier sind zum einen Kolleginnen aus der Forschung zu nennen, natürlich auch mein Mentor Prof. Mark McClellan und Mentorin Prof. Rita Redberg, aber auch viele weitere Experten aus dem Bereich der Gesundheitswissenschaften an der Duke University und der University of California San Francisco. Zudem sind zu nennen die Stipendiaten und Stipendiatinnen aus meinem Jahrgang sowie der vorherigen Jahrgänge. Aber auch der Nutzen im Sinne von einem erweiterten Wissen in methodischer und fachlicher Hinsicht bieten die Möglichkeit neue Forschungsprojekte zu initiieren und damit Lösungsmöglichkeiten für unterschiedliche Aspekte der Gesundheitsversorgung aufzuzeigen.

Was war für Sie das beeindruckendste Erlebnis?
Dr. Cornelia Henschke:
Eines der beeindruckendsten Erlebnisse war die Möglichkeit mit Amerish Bera zu sprechen, einem US-amerikanischen Politiker, der den Bundesstaat Kalifornien im US-Repräsentantenhaus vertritt. Zudem war es ein Privileg mit den neun weiteren Stipendiaten zusammen einen Blog über das amerikanische Gesundheitssystem aus unserer Sicht zu verfassen. Wir hatten hier die Möglichkeit, die Sichtweisen unserer Gesundheitssysteme mit denen der USA zu vergleichen, mit dem Fazit, dass die USA auch im Bereich der Gesundheitsversorgung zu den innovativsten Nationen gehört, dass aber die Fragmentierung des Gesundheitssystems zu vielen Problemen führt.

Jetzt zu Ihrer Forschungsarbeit: Sie haben den Zugang von Medizintechnologien zum Gesundheitsmarkt der USA untersucht. Was war die Aufgabe?
Dr. Cornelia Henschke:
Ausgehend von einem meiner Forschungsbereiche in Deutschland, der auf den Zugang zu Medizintechnologien sowie deren Finanzierung in Gesundheitssystemen fokussiert, habe ich mich auch in den USA mit dieser Problematik beschäftigt. Die Vielfalt an Medizinprodukten, die in der Gesundheitsversorgung Anwendung finden, reicht von Hilfsmitteln wie Rollatoren, über Produkte, die Patienten implantiert bzw. eingesetzt werden bis hin zu sog. Großgeräten, die beispielsweise der Diagnostik von Erkrankungen dienen. Zudem finden diese Medizinprodukte in allen Sektoren des Gesundheitswesens Anwendung: in der ambulanten und stationären Versorgung, in der Rehabilitation etc. Mein Fokus in den USA lag auf innovativen Medizinprodukten, die in der stationären Versorgung eingesetzt werden und die teurer sind als die Versorgung, die bisher stattfand. Da die Finanzierung im Krankenhaus frühestens zwei Jahre nach ersten Anwendungen neuer Technologien im Krankenhaus an die höheren Kosten der Technologie angepasst werden kann, hat sowohl der deutsche als auch der amerikanische Gesetzgeber eine sog. Innovationsfinanzierung implementiert. Diese soll sicherstellen, dass Krankenhäuser die Technologien anwenden können, die Anwendung auch erstattet wird und Patienten damit Zugang zu innovativen Technologien bekommen. Ein Hauptaugenmerk meiner Forschung lag auf diesem Bereich: Welche Technologien finden überhaupt Eingang in diese Finanzierung und wie zufrieden sind amerikanische Ärzte mit diesem System?

Was haben Sie herausgefunden?
Dr. Cornelia Henschke:
Untersucht wurde das amerikanische System von Innovationsentgelten (New Technology Add-on Payments) vom Centers for Medicare and Medicaid Services, also der öffentlichen Gesundheitsversorgung für ältere Personen und Behinderte (Medicare). In Deutschland gelten Innovationsentgelte für alle versicherten Personen. Obwohl beide Innovationsentgelte zur Überbrückung der Finanzierungslücke geschaffen wurden und den Versicherten den Zugang zu innovativen Verfahren und Produkten ermöglichen sollen, unterscheiden sich beide Systeme in drei Punkten wesentlich:

  1.     der Antragstellung
  2.     den Kriterien, die Medizinprodukte wie z.B. Implantate erfüllen müssen, um in diese Finanzierungsmechanismen zu kommen
  3.     der Ausgestaltung der Erstattung und Preisbildung

Was sind die Voraussetzung einer Medizintechnologie in den USA, als Innovation ins System zu gelangen? 
Dr. Cornelia Henschke:
Innovative Medizinprodukte im untersuchten öffentlichen Programm der USA haben es nicht, wie vermutet, einfacher, sondern schwieriger in die Innovationsfinanzierung zu gelangen. Ein wesentlicher Punkt, der hier reinspielt, ist die Tatsache, dass bereits bei Antragstellung auf die Innovationsfinanzierung ein Nachweis einer signifikanten Verbesserung klinischer Outcomes gefordert wird. Dies umfasst bspw. die Senkung der Mortalitätsrate, die Verringerung von Komplikationen oder die Verringerung der Anzahl zukünftiger Hospitalisierungen. Dieser Nachweis entfällt für neue Methoden bzw. Medizinprodukte, die Behandlungsoptionen für eine neue Population darstellen und für diagnostische Instrumente für z.Zt. nicht diagnostizierbare Krankheiten. Aber auch der Erstattungspreis, der für Produkte, die in die Innovationsfinanzierung aufgenommen sind, deckt maximal 50% der Technologiekosten ab. Damit findet eine Risikoteilung zwischen Versicherung und anwendendem Krankenhaus statt. Während in Deutschland das verhandelte Entgelt eines Krankenhauses für alle Anwendungen in diesem Krankenhaus gilt, hängt der tatsächliche Preis von Entgelten für Medicarepatienten von den einzelnen Fallkosten ab. Allerdings gilt der Anspruch auf Innovationsentgelte für alle Krankenhäuser in den USA, denn der Medizinproduktehersteller beantragt die ‚Genehmigung‘ einer Technologie während in Deutschland die ‚Genehmigung‘ eines Innovationsentgeltes nur für Krankenhäuser gilt, die diese auch beantragt haben. Allerdings müssen wir beachten, dass wir seit 2016 auch in Deutschland eine frühe Nutzenbewertung zumindest für bestimmte Hochrisikomedizinprodukte fordern. Hier bedarf es noch einer konkreten Betrachtung der Auswirkungen. Insgesamt genehmigte CMS über den betrachteten Zeitraum von 2005 bis 2018 die Innovationsfinanzierung nur für durchschnittlich vier Technologien pro Jahr, während es in Deutschland 93 waren.

Es heißt, die USA sei weiter als Deutschland, stimmt das?
Dr. Cornelia Henschke:
Das kommt ganz darauf an worüber wir sprechen. Ob jetzt CMS in der Finanzierung von Innovationen weiter ist bzw. besser agiert, lässt sich nicht so einfach beantworten. Zumindest scheinen die Kriterien für die Aufnahme in das System der Innovationsfinanzierung schwieriger zu sein. Damit haben Medicareversicherte ggf. einen erschwerten Zugang zu neuen Technologien. Jedoch haben alle Krankenhäuser das Recht die Innovationsfinanzierung anzuwenden, aber sie bekommen nur max. 50% des Technologiepreises. Ob es jetzt zielführend ist, dass alle Krankenhäuser neue Technologien anwenden, ist hierbei kritisch zu hinterfragen, im Besonderen dann, wenn Ärzte bestimmte Operationsmethoden neu erlernen müssen. In Deutschland konnte gezeigt werden, dass im Besonderen Krankenhäuser mit einer hohen Bettenanzahl, Universitätskliniken und spezialisierte Krankenhäuser Innovationsentgelte verhandelten. Daraus könnte man schließen, dass Innovationen vorrangig in Krankenhäusern Anwendung finden, die auch die notwendige Expertise aufweisen. Befragungen unter den Ärzten zeigten, dass viele mit dem System der Innovationsentgelte nicht zufrieden sind, da die Entgelte zwischen Null und 50% der Kosten der Technologie decken. Im privaten Versicherungsmarkt kommt es hingegen auf die Versicherung an. Durch den privaten Anteil, den Patienten oftmals trotzdem zahlen, können Innovationen jedoch besser finanziert werden.

Hat das Harkness Fellowship weiter Einfluss auf Ihre Arbeit jetzt?
Dr. Cornelia Henschke:
Ja, definitiv. Die Thematik der sog. Innovationsfinanzierung wird auch in den kommenden Jahren einiges an Forschungsarbeit bedürfen. Im Besonderen die Funktionsweise der frühen Nutzenbewertung für bestimmte Hochrisikomedizinprodukte und deren Auswirkungen auf den Markt neuer teurer Medizinprodukte dürfte hierbei eine große Rolle spielen. Auch die Forschung in den USA hat mir gezeigt, wie schwierig es ist einen adäquaten Weg zu finden, um eine Balance zwischen Qualität der Medizinprodukte (im Sinne von Sicherheit und Wirksamkeit), Kosten und Patientenzugang zu finden. Dabei können angewandte Erstattungsmodelle auch einen Einfluss auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Hersteller haben. Bereits während meiner Zeit in den USA konnten meine Kollegen, Kolleginnen und ich ein neues Projekt akquirieren, welches sich im Besonderen mit Medizinprodukten beschäftigt, die bereits in die Finanzierung über Innovationsentgelte aufgenommen sind.

Gibt es in den USA eine Nutzenbewertung ähnlich unserer?
Dr. Cornelia Henschke:
Das gibt es für den Bereich der Medizinprodukte nicht im Allgemeinen. Aber, Versicherungen schauen sich natürlich im Besonderen mit Blick auf sehr teure Technologien auch die Studienlage an. Mit Blick auf die Innovationsentgelte für Medicarepatienten, kann der Nachweis der signifikanten Verbesserung klinischer Outcomes als eine Art Nutzenbewertung gesehen werden. Aber auch Krankenhäuser entscheiden in Teams aus Ärzten, Klinikleitung und Controllern über die Anwendung einer Technologie. Dies ist ein Punkt, der zusätzlich in Interviews mit Ärzten identifiziert wurde.

Was könnte Deutschland übernehmen, um mehr Durchlässigkeit für Innovationen, die ja nur schwer in das Gesundheitswesen gelangen, zu erreichen?
Dr. Cornelia Henschke:
Das ist eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Aber gerade mit Blick auf die Innovationsfinanzierung für Medicarepatienten, gibt es doch erhebliche Restriktionen im Vergleich zu unserem deutschen System. Ähnlich wie in den USA ist seit 2016 unsere frühe Nutzenbewertung dem Prozess des Innovationsentgeltes für bestimmte Hochrisiko-Medizinprodukte vorgeschoben werden. Allerdings sind hier die Ergebnisse noch abzuwarten. Wenn wir von Durchlässigkeit für Innovationen sprechen, sollten wir nicht meinen, dass alle Innovationen überall angewendet werden, sondern eher, dass eine zentrierte Anwendung der Technologien stattfindet, die eine systematische Evidenzgenerierung zulässt. Bei Nachweis eines entsprechenden Nutzens, sollte dann mit den Krankenkassen auch ein höherer Preis verhandelt werden können. 
 

New York, New York: Die Stipendiaten und Stipendiatinnen mit Mitarbeitern des Commonwealth Funds, Cornelia Henschke (3. links in der ersten Reihe)

Dr. rer. oec. Cornelia Henschke lebt und arbeitet in Berlin. Sie wurde als deutscher Harkness Stipendiat von der B. Braun-Stiftung und dem Commonwealth Fund gefördert. Im Rahmen ihres Harkness Fellowship Forschungsprojektes hat die stellvertretende Leiterin des gesundheitsökonomischen Zentrums der TU Berlin Instrumente und Maßnahmen zur Bewertung und Finanzierung von Innovationen der Medizintechnik. Diese bestimmen im Wesentlichen den Zugang neuer Technologien zum Gesundheitssystem sowie die Verfügbarkeit für Patienten und Ärzte. Weitere Informationen über Publikationen erhalten Sie direkt über Dr. Henschke. 

Kontakt: cornelia.henschke.1@tu-berlin.de

Literatur: 

Cornelia Henschke und Rita F. Redberg: "Medical Device Price Differentials in the U.S. and Europe-Rethinking Price Regulation?". In: Health Affairs (December 7, 2018).

Patricia Ex und Cornelia Henschke: "Changing Payment insturments and the utilisation of new medical technologies". In: The European Journal of Health Economics (2019).

Patricia Ex, Verena Vogt, Reinhard Busse and Cornelia Henschke: "The reimbursement of new medical technologies in German inpatient care: What factors explain which hospitals receive innovation payments?" In: Health Economics, Policy an Law (2019).

Angéle Malâtre-Lansac: "An international Perspective on the Paradoxes of US Health Care". In: Health Affairs (August 28, 2019).