Komplexe Aufgaben gemeinsam lösen
Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen hat schon 2007 die Interprofessionalität als Reaktion auf die sich verändernden Rahmenbedingungen eingefordert, denn die Verteilung der Tätigkeiten in den Gesundheitsberufen entspräche nicht modernen Anforderungen. Auch für den Geschäftsführer der B. Braun-Stiftung Prof. Dr. Alexander Schachtrupp lassen sich die Aufgaben der Zukunft nur durch interprofessionelle Zusammenarbeit der drei Berufsgruppen Arzt, Management und Pflege bewältigen. Dabei geht es nicht so sehr um den Austausch bzw. das Lernen fachspezifischer Information. Vielmehr geht es darum zu verstehen und auch einzuüben, wie man gemeinsam zu guten Entscheidungen kommt. Ein Interview.
Professor Schachtrupp, warum ist die interprofessionelle Zusammenarbeit in den Programmen der Stiftung so stark verankert?
Das Gesundheitswesen steht konstant unter dem Druck sich anzupassen und effizienter zu werden angesichts der bekannten gesellschaftlichen Herausforderungen. Unter anderem ist das der Umstand, dass immer mehr Menschen sehr alt werden. Krankenhäuser unterliegen auch dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und müssen ihre Mittel sinnvoll und gezielt einsetzen. Fehlende Kooperation, mangelnde Transparenz und Kommunikation oder ungenügendes Wissen sind oftmals der Grund für eine unzureichende Nutzung der Mittel. Ich würde wagen zu behaupten, dass Verschwendung vermeiden zu den großen ethischen Herausforderung gehört. Das bedeutet, die Zusammenarbeit ist die Grundlage, um ein bestmögliches Ergebnis für den Patienten zu bekommen: Behandlungsqualität, Effizienz, Kostenkontrolle. Ich meine da grundsätzlich alle. Für die Behandlung im Krankenhaus sind das im wesentlichen aber Ärzte, Pflegende und Management.
Können Sie hierzu ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie klinische Behandlungspfade als Beispiel. Das Fast-Track oder ERAS Konzept nach abdominal chirurgischen Eingriffen. Hier sind alle beteiligten Disziplinen und Professionen gefordert. Studien zeigen, dass dadurch die Behandlungsqualität und Kosten deutlich verbessert werden. Das funktioniert nur, weil alle an einem Strang ziehen. Dazu zählt die frühe Mobilisierung des Patienten, Zusammenarbeit von Anästhesie und Chirurgie sowie die genaue Planung von Entlassung und Abrechnung.
Warum wehren sich gerade Ärzte immer noch so dagegen? Sie sind selbst viele Jahre als Chirurg im Krankenhaus tätig gewesen, wie haben Sie das empfunden bzw. wie stehen Sie persönlich dazu?
Natürlich wissen wir Ärzte, dass wir mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten müssen. Das tun wir auch. Allerdings war es bislang notwendig, dass Ärzte, die meisten Entscheidungen, die zur Behandlung des Patienten notwendig sind, fällen. Durch die stetige Professionalisierung der anderen Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung und dem Zuwachs an Expertise ist heutzutage gar nicht mehr möglich, alle Entscheidungen zu überblicken bzw. die Verantwortung für die Behandlung alleine übernehmen. Vielleicht spielt hier das bisherige Bild bzw. die tradierten Erfahrungen noch eine zu große Rolle.
Wo liegt denn das Problem?
Jede Profession hat ihre Kompetenz, in ihrem Bereich zu entscheiden und hat eigene Qualitätsansprüche. Deshalb ist es essentiell, dass gemeinsam und auf Augenhöhe zusammengearbeitet wird. Das fängt bei der alltäglichen Patientenversorgung an und geht bis zur gemeinsamen Weiterentwicklung von Prozessen oder der Entwicklung des Unternehmens. Eine Gruppe an gut ausgebildeten Menschen weiß mehr und kann bessere Entscheidungen treffen als ein einzelner Experte. Darüber sind sich alle einig, allerdings ist häufig nicht klar, wie diese Zusammenarbeit aussehen soll: Wie fördert man zunächst abweichende Meinungen, um sie schließlich in der Entscheidung zu berücksichtigen? Da gibt es wohl immer noch große Defizite bzw. Unsicherheit, wie kommuniziert wird.
Welches Bild ergibt sich, wenn man sich die Kommunikation im Krankenhaus ansieht?
Jede Berufsgruppe ist unterschiedlich in Bezug auf Kommunikationsstile ausgebildet und hat dadurch ihre eigene Sprache entwickelt. Die Literatur zeigt, dass das zu Verständigungsproblemen führt. Pflegende und Ärzte sind selbst oftmals unzufrieden über die Art des Austausches. Der Picker Report 2014 zeigt: 32 Prozent der Ärzte und 55 Prozent der Pflegefachkräfte bemängeln die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen. So erleben mehr als ein Viertel (27 %) der Pflegekräfte und über ein Drittel (37 %) der Ärzte die Übergabe als ineffizient und unstrukturiert. Ein Drittel der Pflegekräfte (33 %) fühlt sich nicht rechtzeitig über Aufnahmen, Entlassungen oder Verlegungen informiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass es effektiver ist, wenn eine gemeinsame klinische Erfahrung geteilt wird, wie bei einer Simulationsübung, als wenn die Professionen nur „Seite bei Seite“ sitzen.
Auch wird es offenbar zu einem zunehmenden Problem, gemeinsame Patienten- Visiten – also von Pflegenden und Ärzten – durchzuführen. Dabei ist aus meiner Sicht die Visite der zentrale Moment, um den Patienten zu beruhigen, zu informieren oder sich schlicht mit ihm abzustimmen.
Wie werden die Führungsaufgaben in dem Krankenhaus der Zukunft Ihres Erachtens aussehen?
Heutzutage geht es um das Management eines Krankenhauses. Management ist aber nicht nur das Werkzeug, sondern eine Fertigkeit, eine Expertise, die alle Berufsgruppen einbringen müssen. Es ist nicht die Aufgabe einer Gruppe. Management ist eine Kultur und keine reines Werkzeug. Für Managementaufgaben braucht es unter anderem eine gute Kommunikation bzw. eine gemeinsame Sprache. Diese Kultur zu entwickeln und gemeinsame Erfahrungen zu schaffen, das ist wichtig. Deshalb bieten wir unsere Weiterbildungen und Workshops berufsgruppenübergreifend an.
Nehmen wir weiterhin die Digitalisierung. Wenn man davon ausgehen möchte, dass die Dokumentation und das gespeicherte Datenvolumen pro Patient in Zukunft weiter zunehmen und auch besser sichtbar werden wird, dann wird es eine Hauptanforderung an die Führungsebene sein, dass aus diesen Daten Information, Wissen und Kommunikation wird. Davon werden die wesentlichen an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen Verwaltung, Ärzte und Pflegende - in gleicher Weise betroffen sein.
Dabei werden sich die Berufsgruppen ihrer Kernkompetenz und Kernfunktion bewusst sein. In diesem Zusammenhang könnte Führung bedeuten, mit bestimmten Botschaften und Wissensinhalten bei den Mitarbeitern präsent zu sein bzw. sie darin zu unterrichten. Es wäre auch notwendig Diskussionen zu beginnen und beenden zu können. Bezogen auf den Patienten gilt das dasselbe, er sollte zumindest gleichberechtigter Partner in allen Überlegungen sein.
Wenn nun der Output und die Kreativität in multiprofessionellen Teams höher sind, was könnte getan werden um diesen Ansatz zu stärken?
Studien zeigen, dass gemeinsame Bildungsangebote die Fähigkeit zur interprofessionellen Kommunikation signifikant verbessern. Das heißt: Gemeinsames Lernen sollte möglichst schon in der Ausbildung beginnen, fest im Curriculum verankert sein und im Krankenhaus fortgesetzt werden.
Ein weiterer Ansatz könnte die Förderung von Unternehmerischen Denken als Denk- und Handlungsmodell sein. Dies sollte wenigstens bei allen Mitarbeitern eines Krankenhauses etabliert sein, die Führungsverantwortung übernehmen wollen. Nicht alle Pflegenden, aber auch nicht alle Ärzte wollen Managementaufgaben übernehmen.
In der Expertise in Leadership bringen wir hoch qualifizierte Ärzte und Pflegende zusammen. Die Auswahl besonders qualifizierter Teilnehmer auf beiden Seiten bieten die besten Voraussetzungen, um gemeinsam Aufgaben zu lösen. Deshalb ist es so wichtig, die zusammenzubringen, die die Aufgaben gemeinsam lösen wollen und können. Denn interprofessionelle Kommunikation lässt sich üben. Die besten können zeigen, wie es geht und die Kultur einer guten Kommunikation als Multiplikatoren weitertragen. Das ist unser Wunsch.
Quellen:
Barnsteiner, J.H., Disch, J.M., Hall, L., Mayer, D., Moore, S.M. (2007). Promoting interprofessional education. Nurs. Outlook 55 (3), 144e150
Flicek, C. L. (2012): Communication: A Dynamic Between Nurses and Physicians. Medsurg Nursing Vol. 21; No. 6: 385-387
Foronda, C.; MacWilliams B.; McArthur, E. (2016): Interprofessional communication in healthcare: An integrative review. Nurse Education in Practice 19 (2016): 36-40
Picker Report (2014): Qualitätsdiskussion in Deutschland: Gleichung mit zwei Unbekannten. Picker Institut Deutschland GmbH
Ward rounds in medicine – Principles for best practice. A joint publication of the Royal College of Physicians and Royal College of Nursing, Octobre 2012