Assistenzroboter sind Entlastung, nicht Ersatz
Assistenzroboter Thea ist zusammen mit Patrick Jahn zu Gast auf der 40. Fortbildung für Pflegende. Der im Test befindliche Assistenzroboter ist ein Beispiel für die heutigen technischen Möglichkeiten.
Die Universität Halle hat das Projekt FORMAT ins Leben gerufen, dessen es Ziel ist, Systeme zu entwickeln, die die Autonomie im Alter erhalten. Ein multimodales Weiterbildungskonzept bringt Pflegenden und Ärzten den Umgang mit technischen Produkten nahe. Wenn Dr. Patrick Jahn, Leiter der Pflegeforschung der Universitätsmedizin Halle, über Digitalisierung spricht, sieht er in erster Linie das Potenzial von technischen Assistenzsystemen.
Herr Dr. Jahn, wie sind Sie eigentlich auf den Computer gekommen?
Tatsächlich ist mein klinischer Forschungsschwerpunkt die onkologische Pflege. Promoviert habe ich im Selbstmanagement von Patienten, z. B. über Fatigue Management. Auch damals habe ich schon technische Erfahrungen gesammelt und die Spielekonsole Nintendo Wii zur Bewegungsförderung bei onkologischen Patienten eingesetzt.
Als ich in 2011 Leiter der Pflegeforschung in Halle wurde, hat mich das sehr stark zum Digitalisierungsthema geführt. Es ist ein gutes Querschnittsthema, denn es führt alle Bereiche und Berufsgruppen auch mit der Medizin zusammen.
Außerdem ist in der Pflegewissenschaft vieles sehr theoretisch, die Forschung lässt sich selten bspw. bei einer Beratungsintervention anfassen. Sofern ist Technik ein ganz wichtiges Medium, zum einen um sich damit auseinanderzusetzen, pflegewissenschaftliches Handeln sichtbar zu machen und letztlich führt es auch zu mehr Aufmerksamkeit. In Thea vereint sich das perfekt. Und die Wissenschaft beweist sich dann daran, dass wir Anwendungen formulieren, die überzeugen. Das ist auch eine Verpflichtung.
Sie sprechen von Thea, einem Roboter aus der Pepper-Familie. Wer ist Thea und welche Bedeutung hat sie?
Unsere Thea ist ein humanoider Pepper-Roboter des japanischen Hersteller Softbanks Robotics. Die Pepper werden in Paris produziert und kosten etwa 20 000 Euro. Pepper wurde entwickelt, um Menschen im Alltag für Technik zu sensibilisieren und anzusprechen. Er hat deshalb einen Aufmerksamkeitsmodus und Displaymöglichkeiten über einen Touchscreen, eine Sprachsoftware mit variierenden Sprachmöglichkeiten und er ist sehr beweglich. Das bringt er alles mit. Er ist kein Pflegeroboter im eigentlichen Sinn, sondern einer den man für kommunikative Aufgaben in der Pflege nutzen kann.
Unser FORMAT-Projekt möchte für Technik sensibilisieren. Wir wollen die Bereiche im Pflegealltag finden, wo sie wirklich entlasten kann. Wir sind in so vielen Zwängen und Traditionen verhaftet, wie etwas zu tun ist. Es ist einfach sinnvoll, über Alternativen nachzudenken.
Deshalb stellen wir Thea in den Einrichtungen vor. Vorteil von Thea ist, dass die Pflegenden schnell die Angst vor ihr verlieren und beginnen, über Einsatzmöglichkeiten nachzudenken
Was hat es mit FORMAT auf sich?
In unserem FORMAT-Projekt geht es um den Einsatz und die Handhabung technologiebasierter Unterstützung für den Pflegealltag. Alte Menschen sollen zukünftig mithilfe von technischen Hilfsmitteln ihre Autonomie länger erhalten. In unserem Future Care Lab gibt es ein Stationszimmer, eine Hausarztpraxis und eine häusliche Wohnsituation. Hier können wir neue Technologien erforschen und ausprobieren.
Ärzte und Pflegende lernen gemeinsam den Einsatz von digitaler Technik. Seit das Fernbehandlungsverbot gekippt wurde, fragen sich viele junge Mediziner, wie sie sich an einer Behandlung beteiligen können, wenn sie nicht Vorort sind. Wir stellen einen konkreten Patientenfall nach, z. B. einen Patienten mit einer zu versorgenden Wunde. Der Arzt kann sich von einem anderen Ort vom Computer aus auf den Telepräsenzroboter einloggen und sich die Wunde anschauen, mit dem Patienten sprechen und Visite machen. Normalerweise ist die Pflege an einer Arztvisite eher passiv beteiligt, bei der Telepräsenzvisite ist die Pflegekraft aber die Anwesende vor Ort. Sie muss sehen, was der Arzt nicht wahrnehmen kann, er aber in die Diagnostik einbeziehen muss. Damit bekommen die Pflegenden eine viel verantwortungsvollere Aufgabe. Das löst auch die Trennung auf von „Arzt therapiert – Pflegekraft pflegt“. Vor der Technik stehen beide mit der gleichen Frage – das schafft eine Gleichwertigkeit.
Wir machen zusätzlich noch Workshops mit Pflegediensten oder Einrichtungen. Es gibt z. B. eine Rückenschule 4.0, wo wir Techniken vorstellen, die dafür eingesetzt werden können. Zukünftig wollen wir auch pflegende Angehörige einbeziehen. Diese haben ja Anspruch auf eine Pflegeberatung nach SGB XI, § 7a, die derzeit aber nicht auf praktische Hilfen ausgerichtet ist. Gerade dieser Personenkreis, das berichten unsere Fokusgruppen, ist technischen Lösungen gegenüber extrem aufgeschlossen, weil sie wirklich nach Entlastung suchen. Sie fühlen sich auch dadurch nicht bedroht.
Was kann Thea denn alles?
Wir sind da am Anfang sehr naiv gewesen, was man praktisch anwenden kann. Wir haben uns für Pepper entschieden, weil wir eine vereinheitlichte Technik brauchen, und diese Roboterfamilie am meisten genutzt wird. Es geht darum Nachahmer zu finden und etwas zum Diskurs beitragen. Pepper kann zum Tanzen auffordern und einen Schlager abspielen, aber wir suchen nach pflegerelevanten Arbeitsfeldern. Deshalb setzen wir unsere Thea in der Patientenaufklärung vor MRT-Untersuchungen ein. Durch die MRT-Studie fällt Kollegen ein, mit welchen Aufgaben Thea sie entlasten könnte. So beantwortet man die Frage in kleinen Schritten.
Was macht Thea im MRT-Bereich?
In der Studie vergleichen wir die Aufklärung durch Thea mit der über Tablett-PC. Thea kann ziemlich gut Textbeiträge in Gesprächsform abstimmen. Der Text ist mit Zwischenfragen eingegeben, auf die der Patient antworten muss. Sie funktioniert nicht wie Siri, sondern hat einen gewissen Sprachschatz und reagiert auf Triggerworte.
Thea hat ein iPad auf der Brust, womit sie dem Patienten etwas zeigen kann. Sie spielt auch vor, wie sich ein MRT anhört. Die Antworten werden gespeichert, ausgedruckt und liegen dem Arzt bei dem Aufklärungsgespräch vor. Der Arzt muss rein rechtlich noch einmal fragen, ob Thea alles verstanden hat. Gemessen am iPad ist Pepper natürlich viel innovativer.
Wir machen von den Interviews eine Videointeraktionsanalyse. Thea wird grundsätzlich sehr positiv aufgenommen. Viele erwarten von einer Universitätsklinik, dass sie sich mit Zukunftsthemen beschäftigt. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, z. B. dass Thea durch ihr Gestikulieren ablenkt. Thea hat unsere Studie übrigens selbst vor der Ethikkommission vorgestellt. Das war schon sehr bewegend.
Die Einsatzmöglichkeiten sind demnach nicht sehr vielfältig …
Denken Sie an die Geschichte des Automobils. Das Auto hatte gegen Pferdekutschen keine Chance, denn sie waren viel komfortabler, effizienter und billiger. Berta Benz hat aber nicht gewartet bis ihr Auto mit 100 km/h über die Autobahn fahren konnte, sie ist einfach mit ihren Kindern mit dem Prototyp Nr.3 die Strecke von Mannheim nach Pforzheim gefahren und hat damit die Entwicklung des Automobils entscheidend vorangetrieben.
So ist das jetzt mit den Robotern auch, wir dürfen nicht auf eine Entwicklung warten, die ohne unsere Beteiligung nie stattfinden wird. Wir haben kein System, was die Erwartungen der Menschen erfüllt - Intelligenz getragen, selbst orientierend, assistierend. Doch trotzdem müssen wir uns fragen, was können Computer wie Thea. Wir wollen überzeugende Einsatzmöglichkeiten finden.
Viele Pflegende haben Angst, ersetzt zu werden. Warum ist es so wichtig, sich mit Technik auseinanderzusetzen?
Wir brauchen in der Pflege eine grundsätzliche andere Haltung zur Veränderung. Da ist die Digitalisierung einfach nur ein Katalysator. Wir haben ein starkes Problembewusstsein, formulieren aber oft nicht unseren Anteil an der Umsetzung. Wir müssen uns aktiv an den Lösungen beteiligen. Deshalb unternehmen wir am 21. bis 23. September den ersten „Pflege-Hackathon“ an mit verschiedenen Challenges (Aufgaben), für die Lösungen entwickelt werden sollen. Die Teilnehmer kommen aus der Pflege, Pflegeschüler, Studenten und Industrie (http://tdg.innovate.healthcare/). Eine von uns durchgeführte Umfrage hat gezeigt, dass die Pflege grundsätzlich Interesse an assistiven, unterstützenden Technologien hat, es aber in der Aus- und Weiterbildung nicht gelehrt wird. Digitalisierungsstrategien brauchen aber eine starke Bildungssäule, sonst gibt es Barrieren.
Wie sehen Sie die Zukunft?
In den neuen Bundesländern hat die demografische Veränderung schon 2030 ihren Peak, in den alten Bundesländern 2050. Wir brauchen neue Technologien. Wenn ich pflegebedürftig werde, möchte ich gerne auf mehr technische Ressourcen zurückgreifen können. Vielleicht zieht mich ein Roboter an oder er misst meinen Blutdruck. Wenn ich dadurch unabhängig bleibe, hat das existenzielle Vorteile. Dieses assistive Element der Technik, nicht der Ersatz von Pflegenden, das ist das, was wir diskutieren. Das passt auch zum jetzigen Stand der Forschung.
Das Interview führte Andrea Thöne
Wie technikaffin ist die Pflege?
Der Pflegewissenschaftler der medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle, Dr. rer. medic. Patrick Jahn, stellt gemeinsam mit Thea auf der Fortbildung für Pflegende in Kassel am 12. Oktober sein Projekt FORMAT vor. Außerdem führt Jahn mit den Fortbildungsteilnehmern eine Umfrage durch, die wissenschaftlich ausgewertet wird. Die Teilnehmer sollen sich dazu äußern, wie technikaffin Sie sind und wie sie die Möglichkeiten und den Schulungsbedarf technischer und digitaler Assistenzsysteme in der Pflege einschätzen.
Eine bereits von FORMAT durchgeführte Online-Befragung mit 415 Pflegeschülern zeigte grundsätzlich eine hohe Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Assistenzsystemen. 72 Prozent vermissten ein Schulungsangebot zum Einsatz technischer Assistenzsysteme. Roboter und Telepräsenzsysteme kann sich die Mehrheit allerdings nicht vorstellen. Die Akzeptanz für den technischen Einsatz ist laut Umfrage im Bereich der Entlastung von Routinetätigkeiten am höchsten. Es erscheint deshalb notwendig, Assistenztechniken und Digitalisierung in die Pflegeausbildung sowie in Fort- und Weiterbildungen zu integrieren.
Das FORMAT-Projekt der Universitätsmedizin Halle (Saale) forscht u.a. zu technischen Assistenzsystemen und fördert in Weiterbildung den Umgang mit technischen Hilfsmitteln.